Anna Ulmschneider eine Ausnahmemusikerin

Die 2006 geborene Pianistin Anna Ulmschneider, die seit ihrem 6. Lebensjahr Unterricht an der Stuttgarter Musikschule nimmt (zunächst bei So-Ryong Chuoa, seit 2016 bei Romuald Noll, seit 2017 in der STUVO), hat bei der WESPE Wertung des Bundeswettbewerbes „Jugend musiziert“ den Klassikpreis des WDR 3 und der Stadt Münster errungen.

Porträt Anna Ulmschneider

Sie spielte die Hammerklaviersonate von L.v. Beethoven, zu der Alfred Brendel anmerkte: „Nach Umfang und Anlage geht die Hammerklaviersonate über alles hinaus, was auf dem Gebiet der Sonatenkomposition jemals gewagt oder bewältigt wurde“.
Nach Münster waren 20 erste Preisträger*innen der Wertungen des Bundeswettbewerbes in Zwickau eingeladen worden.

Die Meinung der Jury zum Auftritt

Der Juryvorsitzende des Klassikwettbewerbes und Vorsitzender der Bundes-Jury Prof. Ulrich Rademacher erklärte hierzu:  „Dieser Anschlusswettbewerb an den Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“...verlangt wie kein anderer außer jugendlicher Frische und ausgefeilter Technik einen hohen Grad an musikalischer Reife…Wenn man für das insgesamt hohe Niveau der Beiträge die Bilderwelt des Alpinismus heranzieht, könnte man sich eine Hochebene vorstellen, auf der sich alle souverän bewegten. Das, was …Anna Ulmschneider…mit ihrer Interpretation der Hammerklaviersonate bot, glich einer Besteigung des Mount Everest ohne Sauerstoff, ihr Spiel war maximal energetisch, ihre Technik ließ sie alle schwierigen und heiklen Passagen sicher meistern. Sie bewies stets großen Überblick über die komplexe Landschaft, in der sie sich bewegte“.

Das vom WDR live aufgenommene Preisträgerkonzert vom 23. September 2023 wurde am 1. November 2023 gesendet und bleibt danach noch 31 Tage abrufbar

Hier der Link zum aufgenommenen Konzert auf der Seite des WDR
(https://www1.wdr.de/radio/wdr3/programm/sendungen/wdr3-konzert/konzertplayer-klassikpreis-der-stadt-muenster-100.html)

Interview mit Anna Ulmschneider

Liebe Anna, du hast ja in letzter Zeit für einiges Aufsehen gesorgt durch den Gewinn des Klassikpreises des WDR. Dazu haben wir natürlich einige Fragen, aber zuerst würde uns interessieren, wie es eigentlich bei dir mit der Musik anfing, kannst du dich da noch erinnern?

Anna:
Das fing bei mir ungefähr mit 6 Jahren auf dem Klavier an. Erste Erfahrungen sammelte ich bei So-Ryong Chuoa. Seit 8 Jahren werde ich von Romuald Noll unterrichtet und bin auch in der STUVO.


Stimmt es, dass du auch eine Zeit lang Cello gespielt hast, und wie kamst Du zu dem Entschluss, dich dann doch aufs Klavier zu konzentrieren?

Anna:
Ja, das stimmt. Am Cello mag ich besonders den dunklen und warmen Klang. Doch schon vor einiger Zeit musste ich das Cello-Spiel auf Eis legen, um mich neben der Schule voll aufs Klavier konzentrieren zu können.


Wenn man sich so intensiv mit Musik beschäftigt wie du, muss man da nicht auf Vieles verzichten, hat man nicht das Gefühl, dass ein Teil des Lebens an einem vorbeizieht?

Anna:
Meine Wahrnehmung ist da eher gegenteilig. Seit ich denken kann, liebe ich Musik, sie gibt mir Kraft und macht mich glücklich. Wenn ich am Klavier sitze, fühle ich mich wie ein anderer Mensch, genauer: wie ein ganzer Mensch. Könnte ich nicht Musik machen, wäre nur ein Teil von mir am Leben, ich kann beim Musizieren meinen Gefühlen freien Lauf lassen. Dazu kommt meine Freude an der Beschäftigung mit Meisterwerken der Klavierliteratur. Es ist einfach spannend herauszufinden, was die Absichten der großen Meister sind, was sie sagen wollen. Und dann zu versuchen, diesen Vorstellungen möglichst nahe zu kommen, das bringt mich dazu, meine pianistischen, aber auch menschlichen Fähigkeiten - sowohl emotional als auch rational - immer weiter zu entwickeln.

Leidet man als Pianistin mitunter an der Einzelhaft am Klavier? Alle anderen Instrumente haben ja die Möglichkeit, im Orchester mitzuwirken!

Anna:
Natürlich ist es schade, dass Pianisten nicht im Orchester mitspielen können, doch auch für Pianisten gibt es ja Möglichkeiten, mit anderen zu musizieren. Ich mache regelmäßig Kammermusik, hier an der Stuttgarter Musikschule wird darauf besonders Wert gelegt, was ich gut finde. Zur Zeit arbeite ich mit der Cellistin Anna Meipariani. Wir haben schon die große A-Dur Sonate von Beethoven aufgeführt und jetzt die Brahms Sonate in F-Dur als Ziel. Auch mit meiner Schwester Carla spiele ich gerne zusammen, aktuell studieren wir die e-moll- Sonate von Brahms.
Außerdem trifft man ja auch bei Wettbewerben und Konzerten immer neue oder bereits bekannte Leute.


Du bist Jahrgang 2006, und damit fielen wichtige Jahre deiner Ausbildung in die Corona-Zeit. Ein Blick auf deine Repertoireliste zeigt, dass du einige der schwersten Klavierwerke in dieser Zeit studiert hast. Wie hast du überhaupt diese Zeit empfunden?

Anna:
Während der Corona-Zeit habe ich versucht, mich trotzdem mit voller Energie dem Klavierstudium zu widmen, auch wenn für eine gewisse Zeit keine Konzerte und Wettbewerbe stattfinden konnten. In dieser Zeit erlernte ich z.B. „Scarbo“ von Ravel, welchen ich später auf internationalen Wettbewerben aufführen konnte und mit dem ich mehrere Preise gewonnen habe.
Wichtig für mich war auch, dass ich Ende 2020 in einem Livestream während des Lockdowns innerhalb eines „Beethovenmarathons“ der Klavierklasse meines Lehrers die „Appassionata“ von Beethoven vortragen durfte. Auch „Islamey“ von Balakirew oder das „Presto passionato“ von Schumann habe ich in dieser Zeit begonnen und dann später auch „analog“ vorgetragen, aber die Anfänge dieser Werke waren alle im Online-Unterricht. Das hat im Rahmen des Möglichen gut funktioniert, weil ich schon gewisse Grundlagen hatte. Ich wusste schon, was meinem Lehrer wichtig ist, in welche Richtung es gehen sollte. Wir mussten eben alle das Beste aus der Situation machen.


Was bringt Dich dazu, Dich mit solch extrem herausfordernden Werken zu beschäftigen, die Hammerklaviersonate ist ja auch nicht ganz einfach....

Anna:
Natürlich lösen Werke, die als besonders schwer gelten, eine gewisse Faszination aus. Man möchte sich den Schwierigkeiten stellen, sie so gut wie möglich meistern und sich dadurch verbessern.
Andererseits fesselt mich besonders, gerade bei der Hammerklaviersonate oder auch bei „Scarbo“, der unfassbar gewichtige Inhalt und die Weisheit, die in solchen Werken steckt. Es gibt aber auch eine rationale Seite: Mein Lehrer rät mir stets, gewisse Werke eher früh zu beginnen, wenn man sie ins Repertoire aufnehmen will, da man nicht in jedem Alter jedes beliebige Stück lernen kann. Ich habe aber immer auch an Werken gearbeitet, bei denen die Schwierigkeiten auf einer ganz anderen Ebene liegen. Manchmal sind 3 spezielle Töne bei
Bach schwieriger als eine Seite Liszt.


Kommen wir zur Hammerklaviersonate. Kann man sagen, dass dieses Stück das letzte Jahr deines Lebens geprägt hat? Und wie kam es dazu, dass du dieses absolut besondere Werk gewählt hast?

Anna:
Das kann man definitiv sagen. Die Erarbeitung der Hammerklaviersonate hat mir sehr viel Durchhaltevermögen und Disziplin abverlangt. Dadurch und durch die unheimlichen Dimensionen und alles, was dieses unglaubliche Werk enthält, habe ich natürlich sehr viel gelernt. Die Hammerklaviersonate hat mich für ein Jahr täglich begleitet, und ich habe jeden Tag versucht, sie besser zu verstehen.
Die Sonate lässt ein ganzes Panoptikum der unterschiedlichsten Gefühlslagen und Stimmungen sowie eine elektrisierende Polyphonie lebendig werden, außerdem erklingen schon fast provozierende dissonante Reibungen. Es treffen Monumentalität und Feierlichkeit, Witz und Spielfreude, aber auch geheimnisvolle Elemente des Allegros und des Scherzos, die unergründliche Trauer und - von Hoffnungsschimmern aufgebrochene - Verlorenheit des Adagios und die Verzweiflung, Erregung, die gigantischen und prometheischen Elemente, sowie die extreme Dramatik der Fuge aufeinander. Bemerkenswert finde ich auch, wie in diesem klassischen Werk Wiederbelebung barocker Elemente, aber auch schon fast romantische Klangbilder und darüber hinaus nahezu atonale Partien zu einem Wunderwerk verschmolzen sind. Ich habe in dieser Sonate von Anfang an die Herausforderung zu ganz besonderen gestalterischen Möglichkeiten gesehen.
Außerdem ist es ein großes Ziel von mir, einmal alle Beethoven-Sonaten spielen zu können. Ich habe schon einige Sonaten gelernt, nun wollte ich deshalb die Hammerklaviersonate frühzeitig zu beginnen.


Musstest Du deinen Lehrer erst überzeugen, die Sonate spielen zu dürfen?

Anna:
Nein, eigentlich nicht – mein Lehrer war immer offen für solche Wagnisse, denn er ist ja der Meinung, dass man gewisse Werke schon früh beginnen muss, um sie später einmal ins Repertoire aufnehmen zu können. Letztendlich war es eine unglaublich erfüllende Phase, wir sind das Stück wirklich Takt für Takt, Ton für Ton durchgegangen, haben versucht, jeden Charakter, jedes Stimmungsbild zu ergründen, um dann auch wieder die einzelnen Details in den großen Zusammenhang zu stellen.


Allein die Fuge ist ja ein zwölfminütiges Monstrum, gespickt mit einigen „unspielbaren" Zumutungen. Wenn Du an solchen Schwierigkeiten arbeitest, bleibst Du da eigentlich immer cool, oder „fliegen die Noten auch mal an die Wand“?

Anna:
Es kommt schon mal vor, dass ich ziemlich frustriert bin, wenn etwas nicht klappen will. Doch andererseits muss man sich eben klar machen, dass, wenn man an solchen Werken arbeitet, auch viel Geduld mit sich selbst gefragt ist. Am Ende kann man ohnehin jedes Werk noch besser spielen und natürlicher interpretieren. Das bedeutet eben, dass man ein Leben lang dazulernen und sich verbessern muss, andererseits aber nicht zu streng mit sich selber sein soll, wenn im Moment etwas nicht wie gewünscht läuft.


Kommen wir zum Anfang zurück. Was ist am sogenannten Klassikwettbewerb das Besondere?

Anna:
Der Wettbewerb nennt sich eigentlich „Sonderpreis des Bundeswettbewerbes Jugend musiziert für die beste Interpretation eines klassischen Werkes“. Der Preis wird vom WDR und der Stadt Münster ausgelobt. Das Besondere ist zunächst, dass nur ausgewählte, in der Regel - und dieses Jahr ausschließlich - erste Bundespreisträger eingeladen werden, man kann nicht einfach teilnehmen. Insofern war ich schon glücklich, dass ich es überhaupt dorthin geschafft habe, da das Niveau in Münster unglaublich hoch war. Man trägt dort das ganze Werk vor, von welchem man im Bundeswettbewerb nur einen Teil gespielt hat. Dann gibt es gleich am Tag nach dem Wettbewerb ein live vom WDR mitgeschnittenes Konzert der Preisträger (Kann in der WDR 3 Mediathek noch bis zum 2.12. nachgehört werden, Anmerkung der Redaktion).
Das Ganze war also schon ziemlich aufregend.


Wie oft musstest Du die Sonate spielen, damit Du dich sicher fühlen konntest?

Anna:
Das war schon ein längerer Prozess, und ich musste trainieren, die nötige Konzentration für diese sehr intensiven 45 Minuten aufzubringen. Auf dem Weg zum Ziel war zweifellos auch das Stipendiaten-Konzert des Jungen Klavierpodiums Werner Haas eine große Hilfe. Dort konnte ich in der Liederhalle schon im Juli die ganze Sonate vor großem Publikum präsentieren. Auch die zahlreichen Vorspielmöglichkeiten, die mein Lehrer im Rahmen der wöchentlichen „Probebühnen“ bietet, waren sehr wichtig für mich.

hier kann das Konzert in der Liederhalle auf YouTube angehört werden:

Was sind Deine nächsten Pläne?

Anna:
Es gilt für mich zu prüfen, wo ich mein Klavierstudium beginnen möchte, da dieses Schuljahr das Abitur ansteht. Natürlich beschäftige ich mich trotzdem mit neuer Literatur: Vornehmlich entdecke ich im Moment die Herausforderungen einiger „kleinerer“ Werke von Haydn, Bach und Debussy. Außerdem freue ich mich schon auf meine Teilnahme bei Jugend Musiziert mit meiner Schwester Carla und mit Anna Meipariani.

Kurzbiografie von Anna Ulmschneider:

Anna Ulmschneider, geboren 2006, wird von Romuald Noll unterrichtet. Sie ist 1. Preisträgerin des Bachwettbewerbs in Köthen, 1. Preisträgerin des Klavierwettbewerbs „Piano Talents“ in Mailand, 1. Preisträgerin des Klavierwettbewerbs „Orbetello”, 1. Preisträgerin inklusive eines Sonderpreises „Premio speziale artistico“ des Klavierwettbewerbs „Citta di Barletta“ und 1. Preisträgerin des Euregio Piano Awards. Zudem ist sie Preisträgerin des Rotary Klavierwettbewerbs Essen, des IMF International Piano Competition Paris und des Clara Schumann Wettbewerbs in Leipzig inklusive eines Sonderpreises für die beste Interpretation eines Werkes von Franz Liszt. Beim 21. Münchner Klavierpodium wurde sie mit dem Beethoven Preis für die beste Wiedergabe eines Werkes von Ludwig van Beethoven („Hammerklaviersonate“), dem Drobitko Preis Berlin für schöpferischen Wagemut, dem „Podium junger Solisten”-Preis Tegernsee, dem „Pianistenclub“-Preis München, dem „Chance Festival“- Preis München und dem „Musicaé Preis” ausgezeichnet.
Beim Wettbewerb „Jugend musiziert“ erhielt sie zahlreiche 1. Preise, zuletzt im Mai 2023 einen 1. Bundespreis mit Höchstpunktzahl in der Wertung Klavier solo inklusive eines Sonderpreises der Deutschen Stiftung Musikleben. Auch beim Wettbewerb des Tonkünstlerverbandes Baden-Württemberg erhielt sie mehrfach erste Preise.

Im September 2023 wurde Anna der vom WDR und der Stadt Münster ausgelobte Sonderpreis des Bundeswettbewerbes Jugend Musiziert in der Kategorie „Beste Interpretation eines klassischen Werkes“ für ihren Vortrag der „Hammerklaviersonate“ von Ludwig van Beethovens zuerkannt, welcher einen Konzertmitschnitt durch den WDR beinhaltet. Als Stipendiatin wurde sie durch das Dr. Klaus Lang-Stipendium und durch das Helmut Nanz-Stipendium unterstützt. 2023 ist sie außerdem Stipendiatin des Jungen Klavierpodiums Werner Haas und gewann den Musikförderpreis der Kreissparkasse Waiblingen.

Text: Romuald Noll
Interview: Anna Ulmschneider
Foto: Matthias Matthai.

(Erstellt am 29. November 2023)

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